Der Brexit trifft Großbritannien härter als erwartet. Die Wirtschaft des Landes schrumpft so stark wie seit der Finanzkrise nicht mehr, zeigen heute erschienene Zahlen des Datenanbieters Markit. Demnach ist der Einkaufsmanagerindex (PMI) für die für Großbritannien wichtige Serviceindustrie im Juli auf 47,4 Punkte gesunken, der niedrigste Wert seit März 2009. Im Juni, als die Briten für den Austritt aus der EU stimmten, hatte der Einkaufsmanagerindex noch bei 52,3 Punkten gelegen.
Ein PMI-Wert von über 50 signalisiert Wirtschaftswachstum, während ein Wert von unter 50 eine Schrumpfung der Wirtschaft anzeigt. Zuletzt war der Einkaufsmanagerindex für die Industrie und das Baugewerbe kräftig eingebrochen. Insgesamt steht der PMI für Großbritannien nun bei 47,5 Punkten, er verlor innerhalb eines Monats vier Punkte. Damit wird eine Senkung der Leitzinsen immer wahrscheinlicher. Die Bank of England will ihre Entscheidung am Donnerstag bekannt geben.
Vor allem der schwache PMI-Wert im Dienstleistungssektor bereitet den Experten Sorge, ist die Serviceindustrie doch für mehr als zwei Drittel des britischen Bruttoinlandsproduktes verantwortlich. Dem Datenanbieter Markit zufolge ist die Zuversicht unter den Einkaufsmanagern des Dienstleistungssektors so gering wie seit Februar 2009 nicht mehr.
„Die heutigen Zahlen belegen, dass sich die britische Wirtschaft verlangsamt“, sagt Dean Turner, Ökonom bei UBS Wealth Management. „Wenn die PMI-Werte auf diesem Niveau bleiben, müssen wir uns zum Ende des Jahres auf eine milde Rezession vorbereiten“, sagt er.
Firmen stellen weniger ein und investieren weniger
Ob dieser Fall eintritt, bleibt aber abzuwarten. „Es ist klar, dass wir eine Periode mit durchwachsenem Wachstum haben werden, ein deutlicher Kontrast zu dem, was wir in den vergangenen drei Jahren erlebt haben“, so Turner.
Die britische Wirtschaft war 2013, 2014 und 2015 stabil gewachsen. Das Brexit-Votum am 22. Juni und der für Anfang 2017 erwartete Beginn der Austrittsverhandlungen könnten das Land nun aber in eine Rezession führen.
„Die Zuversicht wird wahrscheinlich in den kommenden Monaten weiter fallen“, schreibt das Analystenteam von Barclays in einer aktuellen Mitteilung. „Der hohe Grad an Unsicherheit zwingt die Firmen, im Bezug auf Neueinstellungen, Ausgaben und Investitionsentscheidungen noch vorsichtiger zu werden.“ Dies könne sich auch auf das Verbrauchervertrauen auswirken.
Dabei stellen nicht nur Firmen und Verbraucher, sondern auch reiche Individuen ihre Ausgaben auf den Prüfstand. Wie eine aktuelle Umfrage der Finanzberatung De Vere zeigt, wollen 69 Prozent der Superreichen weltweit ihr Investmentportfolio diversifizieren, um ihre Abhängigkeit von britischen Vermögensanlagen zu verringern.
„High-Net-Worth-Investoren wollen ihren Fokus auf britische Assets nach dem Brexit-Votum verringern“, sagt De Vere-CEO Nigel Green. „Sie erwarten, dass die Brexit-Verhandlungen komplex sein werden und dass die britische Wirtschaft darunter leiden wird.“
Auch die Zahl der Firmenkäufe- und verkäufe wird unter dem britischen EU-Austritt leiden. Das ist das Ergebnis einer Befragung, die der Branchendienstleister Intralinks unter 1000 M&A-Experten durchgeführt hat. Demnach soll die Zahl der Transaktionen weltweit zurückgehen. Das Volumen der Transaktionen soll bis Ende des Jahres ebenfalls schrumpfen.
Britische Zentralbank muss nun reagieren
Den Erwartungen zufolge wird sich die britische Zentralbank deshalb am Donnerstag um Schadensbegrenzung bemühen. „Wir erwarten, dass die Bank of England die Leitzinsen um mindestens 25 Basispunkte senkt und ein neues Programm für Anleihekäufe auflegt“, sagt Neil Wilson, Marktanalyst bei ETX Capital in London.
50 Milliarden Pfund könnte die Zentralbank nach Prognosen der Barclays-Analysten für neue Anleihekäufe zur Verfügung stellen, darüber hinaus wird eine Lockerung der Bestimmungen für die Kreditvergabe erwartet.
Viel Spielraum hat die Zentralbank allerdings nicht. Bereits im Juli hatten sich die meisten Mitglieder des Geldpolitik-Komitees der Bank of England für eine Lockerung der Geldpolitik ausgesprochen, sie muss nun Taten folgen lassen, will sie ihre Glaubwürdigkeit nicht verlieren.
Seit März 2009 liegen die Leitzinsen in Großbritannien unverändert bei 0,5 Prozent, sie könnten nun auf 0,25 Prozent gesenkt werden. Negative Leitzinsen, wie sie die Europäische Zentralbank eingeführt hat, erwarten die Experten für Großbritannien vorerst nicht. „Schon die Senkung der Zinsen auf Null ist unwahrscheinlich“, sagt Wilson.